Bei Mediatorin Valentina Philadelphy-Steiner kommen nur die harten Brocken auf den Tisch. "Ich hatte mal einen Fall, bei dem jemand seinem Mitbewohner Abführmittel ins Essen gemischt hat, weil er die ganze Zeit Sachen aus dem Kühlschrank geklaut hat. Das Date, das er an dem Tag noch hatte, ist dann mehr oder weniger in die Hose gegangen", sagt sie. Dass sie in solch schwierigen Fällen innerhalb einer WG schlichtend eingreifen muss, sei aber die Ausnahme. "Die meisten Konflikte lassen sich auch ganz gut allein lösen."

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WGs sind eine gute Alternative zur ersten eigenen Wohnung, vor allem wenn man als junger Mensch in eine fremde Stadt zieht. Das weiß auch Lena Steindorf-Sabath. Sie hat bereits ein paar WG-Erfahrungen hinter sich. Sie weiß, wie man den Hausfrieden in einer Wohnung mit anderen bewahrt.

Das häufigste Streitthema? "Ganz klar Sauberkeit und Ordnung." Kein Wunder, jede und jeder hat eine eigene Auffassung davon, was sauber, ordentlich oder aufgeräumt ist. Der eine möchte gerne eine blitzblanke Küche vorfinden, wenn er sich etwas aus dem Kühlschrank holt, die andere stört der eine oder andere Teller nicht. Ein Tipp von der WG-Expertin: "In jeder meiner WGs gab es bisher einen Putzplan. Und das hat eigentlich immer funktioniert", sagt Steindorf-Sabath.

Ausgesperrt!

Philadelphy-Steiner nennt unterschiedliche Tagesrhythmen als zweiten Streitpunkt. "Erst kürzlich habe ich eine Mediation zwischen Mitbewohnern geführt. Zwei Studentinnen haben mit einer Frau zusammengewohnt haben, die als Krankenpflegerin unter anderem Schicht-Dienst hatte. Der andauernde Streit um Ruhezeiten und Lärm ist dann soweit eskaliert, dass sie ihren beiden studierenden und häufig feiernden Mitbewohnerinnen den Schlüssel weggenommen und sie ausgesperrt hat".

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Damit es nicht so weit kommt, sollte man das Problem früh genug ansprechen, sagt die Mediatorin. "Wichtig ist dabei, Ich-Botschaften zu senden. Also nicht: Du räumst nicht auf. Sondern: Mich stört es, dass es hier nicht so sauber ist, wie wir abgemacht haben. Damit fällt es dem Gegenüber häufig leichter zuzuhören. Man bringt den anderen nicht durch einen verbalen Angriff in eine Reaktionshaltung". Außerdem sollte man Probleme so schnell wie möglich ansprechen, um aus einer Mücke keinen Elefanten werden zu lassen.

Auch Steindorf-Sabath hat diese Erfahrungen gemacht. "Am Anfang meiner WG-Karriere habe ich noch Sachen in mich hineingefressen und dann passiv-aggressiv rausgelassen. Wenn man Konflikte höflich anspricht, haben die meisten dafür Verständnis."

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Eine Charaktereigenschaft, sagt Steindorf-Sabath, sei dabei wichtig: Akzeptanz. "In einer WG lernt man, Dinge auch einfach mal hin-, sich selbst nicht so wichtig und Rücksicht zu nehmen."

Sie habe die Erfahrung gemacht, das ginge in einer WG mit Freundinnen und Freunden einfacher. "Da war bei mir die Akzeptanz gegenüber Dingen, die mich stören, noch höher, weil man die Leute eben kennt", sagt sie. Auf der anderen Seite birgt eine WG mit Bekannten auch immer ein Risiko. Wenn man sich im Streit verliert, kann die Freundschaft nachhaltig beschädigt werden.

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Von negativen Erfahrungen soll man sich aber nicht abschrecken lassen, sagt Steindorf-Sabath. "Wenn man in eine WG zieht, muss man sich öffnen. Und das bereichert das ganze Leben. Ich habe in WGs Freundschaften geschlossen, die auch über das Zusammenwohnen hinaus überlebt haben."

Anschluss finden

Denn Geschichten, wie sie Mediatorin Philadelphy-Steiner erzählt, sind die Ausnahme. WGs sind eine tolle Möglichkeit, schnell Anschluss zu finden und nicht ganz allein ins kalte Wasser des Erwachsenwerdens geschmissen zu werden. Nur mit dem Abführmittel sollte man sich eventuell zurückhalten. (Thorben Pollerhof, 7.4.2022)